Ein Weihnachtsmann zu viel

Ein Weihnachtsmann zu viel


Singend, pfeifend und vergnügt verließ der Heiersdorfer Weihnachtsmann am Heiligen Abend des Jahres 1991 seine letzte Einsatzstelle.

Die vielen Liköre und Weinbrände hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Er bekam sie von den Vätern der Kinder, und die tranken gern mit. Als es aus dem großen Jutesack keine Geschenke mehr zu verteilen gab, ging er keinesfalls nach Hause. Er schaute in die hell erleuchteten Fenster seines Reviers, denn auch damals waren die Einsätze im Dorf unter den Familien geregelt. Genaue Zeitpläne hatte er eingehalten. Doch da strahlte plötzlich ein Haus mit großen Lichterbögen in allen Fenstern mit Kerzen und Sternen über einer großen Wiese. Dort musste er unbedingt hin. Wer würde dort wohnen? Das Haus schien neu
zu sein. Dort würde auf alle Fälle ein Weihnachtsmann gebraucht. Der Weg war beschwerlich. Seine großen Stiefel machten sich selbstständig. Ab und zu verlor er einen davon.

Erschöpft kam er am Haus an und staunte nicht schlecht. Im Garten standen Laternen und die Türen waren offen. Man hatte bestimmt auf ihn gewartet. An die Wohnzimmertür klopfte er nicht. Er trat einfach ein. Entsetzen!

Ein fremder Weihnachtsmann verrichtete gerade seinen Dienst. An Rückzug war nicht mehr zu denken. Noch schlimmer wurde es, als er feststellte, dass der Fremde einen anderen Dialekt sprach. Er konnte niemals aus Sachsen sein. Der Kampf begann. Anfangs verbal, sächsisch gegen österreichisch und umgekehrt. Die Hausbewohner und deren Gäste amüsierten sich köstlich. Ihnen liefen die Tränen über die Wangen, so sehr lachten sie. Dann wurde die Sache ernster. Die Weihnachtsmänner gingen mit beiden Ruten aufeinander los. Keiner wich einen Schritt zurück. Als es keinen Gewinner gab, versuchte der ältere die anwesenden Frauen auf seine Seite zu bringen. Mit der ältesten Dame wäre er schon in die Schule gegangen, so seine Behauptung. Seine List war gelungen. Sie wollte gleich mehr über ihn wissen. Der österreichische Weihnachtsmann warb mit Geschenken, denn sein Sack war noch nicht leer. Als man später gemeinsam den Stollen anschnitt waren die Wogen geglättet. Der Kompromissvorschlag der Hausherrin war angenommen worden.

Zum nächsten Christfest durften beide Weihnachtsmänner gemeinsam die Geschenke bringen, auch wenn die einhellige Meinung bestand: „Nur der österreichische ist der Echte“.

So blieb es viele Jahre.

Das Revier ist wieder frei. Der ältere Weihnachtsmann verstarb und der jüngere zog nach Innsbruck. Dort ist er als Nikolaus tätig.

Gelacht wird aber immer noch über diese herrliche Weihnachtsepisode.

Advent 2022

Annette Richter

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