Es gibt Rituale, an die man sich ein Leben lang erinnert.

In der Zeit der DDR begann das neue Schuljahr mit dem 1. September und damit auch die Christenlehre und die Übungsstunden der Kurrende der St. Moritzkirche in Taura.

Schon in den ersten Stunden wurde der Erntedankgottesdienst vorbereitet. Jedes Kind bekam schriftlich einen Psalm oder ein Dankgebet, um diese im Festgottesdienst aufsagen zu können.

Dabei trug man eine geschmückte Schale mit Obst oder einen Korb zum Altar. Die Aufregung unter den Kindern war groß. Aufstellung und Reihenfolge des Einzuges bei festlicher Orgelmusik wurden geübt, doch welche Gabe man in der Hand halten würde, sah man erst kurz vorm Gottesdienst. Dabei wurde die Kirche schon am Sonnabend wunderschön geschmückt und die Kinder fanden vor dem Altar kaum Platz. Im ganzen Ort herrschte Aufregung, wer wohl den schönsten Strauß oder die größte Kornpuppe geliefert hatte. Die Kinder wussten es zuerst. Wurden sie doch beauftragt, die Gaben bei den Bauern abzuholen. Vorsichtig musste man sein, damit die herrlichen Butterschäfchen vom Müllerbauer nicht kaputt gingen. Stolz war die Bäuerin, wenn ihr die Schäfchen wieder gelungen waren und zum Schluss noch einen Petersilienzweig ins Maul bekamen. Die Augen aus Pfefferkörnern blinzelten schon dabei. Nur gut, dass es in der Kirche recht kühl war und Butter und herrliche Brote den Altar schmücken konnten. Mehrmals mussten die Kinder samstags zur Kirche laufen. Vom Eulitzbauer gab es Kuchen und Blumen, von Friedemanns einen Korb mit Eiern und oft auch Gemüse. Alle Behältnisse waren mit Namen versehen, denn nach der Verteilung der Gaben an ein Kinderheim, mussten diese den Besitzern zurückgebracht werden. Schließlich würden sie im nächsten Jahr wieder gebraucht werden. Manch teurer Porzellanteller wurde wahrscheinlich nur zu diesem Anlass aus dem Schrank geholt.

War das Erntedankfest vorüber, freute man sich auf die „Kirmes“ Anfang November, doch zwischendurch gab es noch die Kartoffelferien.

Annette Richter, August 2024

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